Mit Nike Bätzner, Professorin für Kunstgeschichte an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale)
Aktiv zu sein, scheint notwendig angesichts der aktuellen polyvalenten Krisen und einer Zukunft, die keine Heilsversprechen mehr birgt. Aktivist:innen kritisieren vermeintlich unausweichliche Gegebenheiten, wollen handeln, aufbrechen, gestalten, wachrütteln, umkrempeln – und sind dabei erfindungsreich und schöpferisch. Daher sind die Künste prädestiniert dafür, zur Plattform für aktivistische Ausdrucksformen zu werden.
Uns soll es um Kunstformen gehen, die dem Widerspruch zwischen individueller Selbstermächtigung und dominanten repressiven Strukturen aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Strategien begegnen. Um Kunst, die sich nicht nur in den Institutionen einrichtet, sondern auf die Straße drängt. Welche Praktiken und Taktiken, welche Symbole und Motive werden dafür genutzt?
Das Living Theatre oder Lo Zoo haben schon in den 1950er/1960ern im Zuge der Counter Culture–Bewegungen mit Straßentheater die »Dressur« durch die Konsumkultur heiter subversiv angegriffen. Die Pussy Riots bezeichnen ihre Aktionen als »Punk Prayer« oder »Velvet Terrorism«. Thomas Hirschhorn will mit unterschiedlichen Kollektiven einen ereignishaften, neuen Begriff von Monument erschaffen. Teresa Margolles entwickelt aus der Trauerarbeit Kraft und Schönheit. Allen geht es um eine vitalisierende Provokation, um Verausgabung, optimistische Kompliz:innenschaft, eine multisensuelle Ästhetik und die Entwicklung von interagierenden Handlungs(spiel)räumen. Es geht um Bewusstseinsbildung und eine Entfesselung von Prozessen, um Ver-Antwortung – nicht um Realpolitik.
Skeptiker*innen setzen einem vermeintlich »selbstbezüglichen Aktionismus« und ideologiegeleitetem Agit prop immer wieder die Autonomie der Kunst entgegen.
Trotz der Berechtigung eines »Eigensinns« der Kunst ist die Frage zu stellen, was die Spezifik von künstlerischem Aktivismus ausmacht, worin seine Potentialität besteht, welche Versprechen und welche Aussichten er geben kann.
Foto: Supporters of the Russian punk band Pussy Riot, Getty/Wojtek Radwanski, 2018.