Vielfalt zeigen,
Bildung erleben

Time Beyond Measures

Sybille Neumeyer
KI generiert: Das Bild zeigt einen schwarzen, rauhen, herzförmig wirkenden Stein oder Lava-Brocken vor einem schwarzen Hintergrund. Der Hauptinhalt des Bildes ist der Texturkontrast des Steins.

»Verursacht Zeit Schwerkraft?«

Die Forscher*innen bei DESY untersuchen die Struktur, Dynamik und Funktion der Materie in vier Forschungsbereichen: Beschleuniger, Forschung mit Photonen, Teilchenphysik und Astroteilchenphysik.

In Gesprächen mit Wissenschaftler*innen diskutieren wir Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die besagt, dass dort, wo die Schwerkraft stärker ist, die Zeit langsamer vergeht – ein Phänomen, das man Zeitdilatation nennt. Die Schwerkraft ist also näher am Erdmittelpunkt stärker, was auch bedeutet, dass die Zeit näher am Boden langsamer vergehen sollte. Weiter erklärt man mir, dass nach Einstein die Schwerkraft auch durch eine Verformung von Raum und Zeit verursacht wird …

»Beschleunigung«

S84A3939 683x1024Der HERA Beschleunigungs-Ring des DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg. In diesem Beschleuniger wurden bis 2007 Teilchenphysikexperimente durchgeführt.
DBP 1984 1221 DESY 1024x641DBP Sondermarke DESY 1984
Tesla S84A3809 Scaled E1657621149638 1024x658XFEL schematische Zeichnung
Xfel S84A3815 1024x658XFEL Montagehalle
KI generiert: Das Bild zeigt eine abstrakte oder verzerrte Reflexion, möglicherweise von Lichtquellen in der Dunkelheit. Die Szene könnte auch Wasser oder eine spiegelnde Oberfläche beinhalten.Driftkammer des ARGUS-Detektors (im DORIS Speicherring, DESY) mit über 30000 Drähten.

DIE ZEITPROJEKTIONSKAMMER (TPC)

Die Zeitprojektionskammer (auch Spurendriftkammer genannt) ist ein Teilchendetektor, der eine dreidimensionale Rekonstruktion von Spuren elektrisch geladenere Teilchen ermöglicht. Die TPC verwendet eine Kombination aus elektrischen und magnetischen Feldern zusammen mit einem empfindlichen Gas- oder Flüssigkeitsvolumen, um eine dreidimensionale Rekonstruktion einer Teilchenflugbahn oder einer Wechselwirkung durchzuführen.

»Projektionen der Zeit …«

Welche Zeit ist das Maß in einer hoch beschleunigten Welt?

Geologische Zeit?

Physikalische Zeit?

Himmlische Zeit, ein kosmischer Rhythmus?

Tiefenzeit?

Traumzeit?

Zeiten von Körpern?

Die Geschwindigkeit, mit der sich das Licht durch den Raum bewegt?

Bilder pro Sekunde?

Gibt es Zeit, wenn wir sie nicht beobachten können? 

Was passiert mit der Zeit, wenn sie projiziert, vermittelt wird?

Wie kann eine filmische Zeit die Echtzeit verzerren?

Kann sie Schwerkraft erzeugen? 

KI generiert: Das Bild zeigt vier verschiedene dunkle Gesteinsbrocken vor einem schwarzen Hintergrund. Jeder Stein ist aus einer anderen Perspektive beleuchtet und betont dadurch seine Textur und Struktur.

»Entschleunigung«

Während das so genannte Anthropozän die planetaren Einflüsse des Menschen aus einer geologische Perspektive zu fassen versucht, die die Frage nach der körperlichen Zeitlichkeit und der Rolle der Körper in der Geschichte der Geologie aus den Augen verliert, frage ich mich, was wir von Steinen – die eine tiefe Zeit verkörpern – über das Sein in der Zeit lernen können? Und, wie wir in einer immer schneller werdenden Welt an Schwerkraft gewinnen und entschleunigen können?

KI generiert: Das Bild zeigt zwei Blätter mit Textausschnitten, die teilweise hervorgehoben sind, und zwei Steine, die die Blätter beschweren. Der Hauptinhalt des Bildes sind die markierten Textpassagen und die darauf liegenden Steine.

»time is out of joint and presents itself in the pure state. The time-image does not imply the absence of movement (even though it often includes its increased scarcity) but it implies the reversal of the subordination; it is no longer time which is subordinate to movement; it is movement which subordinates itself to time.« (Gilles Deleuze, Cinema 2, p. 271)

»Die Zeit ist aus den Fugen geraten und präsentiert sich im reinen Zustand. Das Zeitbild impliziert nicht die Abwesenheit von Bewegung (auch wenn es oft ihre zunehmende Verknappung einschließt), sondern es impliziert eine Umkehrung der Unterordnung; es ist nicht mehr die Zeit, die der Bewegung untergeordnet ist, sondern die Bewegung, die sich der Zeit unterordnet.« (Gilles Deleuze, Cinema 2, S. 271; übersetzt von Sybille Neumeyer)

Kann kinematografische Raumzeit unsere Schwerkraft, unsere Erdung in der beschleunigten Zeit verändern?

Inspiriert durch Gilles Deleuze’s Konzept »time-image« übersetze ich die sogenannte »Echtzeit«, bzw das Maß unserer Zeitmessung – die Erdumdrehung, in einer kinematographischen Versuchsanordnung in einen geologischen Körper, der frei von Schwerkraft und losgelöst von Raum auf eine schwarze Leinwand projiziert wird. Er dreht sich einmal am Tag um seine eigene Achse, genauso wie die Erde selbst. Die Erd-Rotationsgeschwindigkeit von 1670 km pro Stunde am Äquator und ca 1000 km pro Stunde in europäischen Breitengraden lässt sich dennoch nicht mit dem bloßen Auge wahrnehmen.

In meinem Versuch einer direkten Repräsentation von Zeit bewege ich mich in einer medialen Fiktion, die Projektion der aufgenommenen Echtzeit wirft diese automatisch mit jedem Screening, mit jeder Drehung weiter in die Vergangenheit. Dennoch eröffnet sie gleichzeitig die Vorstellung von einer gleichsam linear und zirkulär voranschreitenden Zeit, während sich im vermeintlichen Stillstand des Bewegtbildes Moment und Ewigkeit nähren.

»Dream-images […], they project the sensory-motor situation into infinity, sometimes by ensuring the constant metamorphosis of the situation, sometimes by replacing the action of characters with a movement of the world.« (Gilles Deleuze, Cinema 2, p. 273)

»Traumbilder […], sie projizieren die sensomotorische Situation ins Unendliche, manchmal indem sie für eine ständige Metamorphose der Situation sorgen, manchmal indem sie die Handlung der Figuren durch eine Bewegung der Welt ersetzen.« (Gilles Deleuze, Cinema 2, S. 273; übersetzt von Sybille Neumeyer)

KI generiert: Das Bild zeigt sechs Felsen oder Asteroiden, die nebeneinander angeordnet sind. Jeder Felsen scheint eine ähnliche Form und Textur zu haben und ist auf einem dunklen Hintergrund dargestellt.Sequenz-Darstellung von »Time–Image«. Das Video hat die Länge eines Sterntages (der Umdrehung der Erde um ihre eigene Achse), also 23 Stunden 56 Minuten und 4 Sekunden.
KI generiert: Das Bild zeigt ein Fortschrittsfenster für den Kodierungsprozess "Encoding Sequence 02", das anzeigt, dass noch 18 Stunden, 57 Minuten und 40 Sekunden verbleiben und 2% des Prozesses abgeschlossen sind. Oberhalb des Fensters sind Symbole und Informationen auf der Menüleiste eines Computers sichtbar.Video-Rendering von »Time–Image«
2018 Time Image 7 WebInstallation von »time–image« im XFEL Test Tunnel
S84A0013  1024x683Besucher betreten die "Dunkle-Materie-Zone" der Künstlerin im XFEL-Testtunnel des DESY, 2017

»Dunkle Materie: Im übertragenen Sinne verweist sie auf das Unbekannte, das, was im Schatten des Bewusstseins liegt und sich dem Blick und dem Zugriff entzieht. Eine immaterielle Projektionsfläche, die Alles sein kann und Nichts, ein Mysterium das sich der Imagination zugleich versperrt und der Fantasie grenzenlose Vorstellungen eröffnet. In der Welt der Allegorien und der Bilder lässt sich die physikalisch herbeigeführte Teilchenkollision auch als energiegetriebener post-alchemistischer »Stein der Weisen« auffassen, der statt Gold die noch fehlenden Elementarteilchen hervorzubringen vermag. Die alchemistischen Energien der Verwandlung, die Phänomene der Wirklichkeit in andere Zustände zu überführen und dem Nichtwahrnehmbaren Gestalt zu geben vermag, sind der Kunst grundsätzlich eigen: Sie selbst fungiert als Beschleuniger eines erweiterten Sehens, das andere Denk- und Bildwelten erschließt und in Aussicht stellt.«

(Auszug aus dem Text »Magic Matter« von Belinda Grace Gardner für »Dark Matter«, 2017)

Besonderen Dank an Dr. Christin Schwanenberger, Marcel Große und das DESY Team für die Unterstützung des Projektes, sowie an Miya Yoshida und Kerstin Flasche.